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Der König und der Garten der Samen


Es war einmal ein König, dessen Reich weit und fruchtbar war. Doch im Herzen seines Reiches lag ein besonderer Garten, größer als alle anderen, mit dunkler, reicher Erde und Quellen, die niemals versiegten. Der König liebte diesen Garten über alles, denn er wollte daraus einen Ort machen, an dem Blumen, Früchte und Heilkräuter für alle Menschen seines Landes wuchsen.

An einem strahlend klaren Morgen ließ der König in alle Dörfer Botschafter aussenden. Sie riefen: „Kommt, wer arbeiten will im Garten des Königs! Am Abend wird jeder, der gekommen ist, reich belohnt werden.“ Schon bald strömten die ersten Arbeiter herbei. Sie kamen im Morgengrauen, mit festen Schritten und entschlossenen Gesichtern. Sie pflügten, jäteten, gruben und trugen Wasser, und der Schweiß rann ihnen über die Stirn.

Zur Mittagszeit, als die Sonne brannte und die Luft flimmerte, kamen einige wenige weitere Arbeiter. Sie hatten gezögert, waren unsicher gewesen, ob sie überhaupt willkommen wären. Doch der König begrüßte sie mit einem Lächeln, das wie ein warmer Wind jede Angst fortwehte. Sie begannen zu arbeiten, wenn auch langsamer und vorsichtiger als die Ersten.

Am späten Nachmittag, als der Schatten der Bäume schon länger wurde, kamen noch einige, müde von langen Wegen oder schweren Gedanken. Manche hatten den ganzen Tag über gezweifelt, ob ihre Hände und Kräfte genügen würden. Doch der König sprach zu ihnen mit einer Stimme, die tief und sanft klang: „Es ist niemals zu spät, um zu beginnen.“

Als die Sonne hinter den Hügeln versank, versammelte der König alle Arbeiter auf der Wiese am großen Brunnen. Die Früchte des Tages lagen vor ihnen: Beete, die in ordentlichen Reihen angelegt waren, junge Pflänzchen, die sich zum Licht reckten, und saubere Wege, auf denen man leicht gehen konnte.

Der König ging von Mensch zu Mensch und gab jedem einen Sack voller Samen – gleich schwer, gleich wertvoll, ganz gleich, wie viele Stunden der Einzelne gearbeitet hatte.

Da flüsterten die Ersten zueinander: „Das ist nicht gerecht. Wir haben den ganzen Tag geschuftet, und doch erhalten diese Spätgekommenen dasselbe.“ Ihre Worte waren von Enttäuschung und Bitterkeit durchzogen.

Der König aber sah ihnen in die Augen, und seine Stimme war wie der Klang einer Glocke im Abendlicht: „Freunde, habt ihr nicht bekommen, was ich euch versprach? Eure Mühe war groß, und ihr habt Gutes getan. Aber diese hier, die spät kamen, haben ebenfalls den Mut gefunden, ihre Schritte in meinen Garten zu setzen. Ich gebe nicht nach der Dauer, sondern nach der Freude, dass ihr alle da seid. Denn dieser Garten wird nur dann erblühen, wenn er von vielen Händen gepflegt wird – und jede Hand zählt.“

In diesem Augenblick spürten einige der Ersten, wie der Zorn von ihnen wich. Sie blickten zu den Spätgekommenen und erkannten, dass auch in deren Augen ein Licht brannte – ein Licht aus Dankbarkeit, Hoffnung und neuem Mut.

Und so gingen sie alle nach Hause, jeder mit einem Sack goldener Samen, und viele pflanzten sie in ihren eigenen Feldern. In den folgenden Jahren blühte nicht nur der Garten des Königs, sondern das ganze Land – und die Menschen erinnerten sich daran, dass Wert nicht nur in der Zeit liegt, die man gibt, sondern auch im Herzen, mit dem man kommt.

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